Aus dem Fenster
Bilder von Alireza JavadiAuszug aus einer Rede von Dr. Hermann Ühlein zur Eröffnung der Ausstellung “Lächelnde Farben” im Atelier 13 b am 16.11.2003
... Auch Alireza Javadis Bilder lenken unseren Blick, zunächst jedoch den Blick des äusseren Auges. Die ausgestellten Arbeiten gehören zu einem grösseren Zyklus mit dem Titel “Aus dem Fenster”. Wir sehen jeweils 3 mal 3 kleine Quadrate, die ein grosses Quadrat bilden. Je näher man an das Bild herantritt, desto einheitlicher wirkt es, mit Distanz sind die neun Quadrate immer zu erkennen. Jedes kleine Quadrat hat seinen eigenen Charakter und auch die daraus entstehenden grossen Quadrate, also die Bilder als Ganze sind in Farb- und Formgebung deutlich voneinander zu unterscheiden.
Der Begriff “Maler” beschreibt Ali Javadis Tätigkeit nur ungenau, denn einen Pinsel benutzt er kaum. Vielleicht sollte man besser sagen, er ist ein “Farbwerker”: er bringt die Farbe auf mit Spachtel, Pappe, Papier, Hand. Er verteilt, schabt, verschmiert, verschleift, drückt Farbmasse mit einem Papier auf und zieht es wieder ab. Durch Übermalung und Überlagerung schafft Javadi höchst dichte Farbtexturen, die bisweilen reliefartig, rauh und schrundig aussehen. Und doch sind alle Bilder abgeschliffen, sie haben eine spiegelglatte Oberfläche. Die letzte der zahlreichen Farbschichten ist meist diese milchig-nebulöse Strukturierung, die zugleich gestaltend und auflösend wirkt. Vielfältigste Assoziationen sind möglich, etwa an organische Formen, Tiefseefauna oder Traumwelten. In der Tat überlässt der Künstler im Schaffensprozess vieles dem Zufall. Man kann auch sagen, er überlässt sich dem Unter- und Unbewussten. ... Beim Betrachten steigen wir gewissermassen in diesen Prozess ein. ... Unsere Blicke werden gelenkt und auf die Spuren des Künstlers gesetzt. Denn die Spuren des Malprozesses sind zu sehen, sie sind Thema des Bildes. Mit unseren Blicken können wir die Entstehung des Bildes nachvollziehen. ... Wie zuvor der Künstler, der von einem Quadrat ausgeht und spontan die anderen Felder bearbeitet, suchen wir in den neun Quadraten nach Ähnlichkeiten, Zusammenhängen und Unterschieden. Dem faktischen Entstehungsprozess folgt also pro Betrachter eine weitere, optische Bildkonstruktion. Dabei können in uns Zufall, Intuition und Unbewusstes eine ebenso grosse Rolle spielen wie beim Künstler. ...
Die grosse Lebendigkeit dieser Bilder entspringt der Bewegung und der Energie in Gestus, Farbwahl und Farbgebung. Wir scheinen konfrontiert zu sein mit einem höchst fruchtbaren Chaos. Doch diesem Chaos liegt eine ruhige, ebenmässige und geometrisch perfekte Ordnung zugrunde: Neun kleine Quadrate bilden ein grosses Quadrat. ...
© Dr. Hermann Ühlein, Isabellastr. 32, 45130 Essen