Sie befinden sich in:

 

Die Sprache der Götter

Eine Rauminstallation von Ali Reza Javadi

Rede von Dr. Hermann Ühlein zur Eröffnung der Ausstellung im Torhaus Rombergpark Dortmund am 11.04.2004

Meine Damen und Herren, vor kurzem unterhielt ich mich mit Ali Reza Javadi über den Titel der Ausstellung: “Die Sprache der Götter”. Es ging darum, dass die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam Buchreligionen sind. Alle drei glauben, dass sich der Eine Gott in den Heiligen Schriften Thora, Bibel und Koran offenbart. Sieht man das ganze unter sprachlichem Aspekt, so kann man sehr vereinfachend sagen: Gott offenbart sich in der Thora auf Hebräisch, in der Bibel auf Aramäisch und Griechisch, im Koran auf Arabisch. Dann aber, so schlug ich dem Künstler vor, sollte doch die Ausstellung treffender “Die Sprachen Gottes” lauten, anstatt “Die Sprache der Götter”. Nun, meine Damen und Herren, Sie sehen ja, wie dieses Gespräch ausgegangen ist - und das hat natürlich seinen guten Grund. Ich komme darauf am Schluss meiner kleinen Rede wieder zurück.
Die Heiligen Schriften sind in jeder Ausprägung zum einen Bindeglied zwischen Mensch und Gott. Zum anderen waren sie immer schon inspirierend für die Künste. Nun ist die Anregung, die Ali Reza Javadi für seine Installation aus dem Koran erhält, keine inhaltliche. Es geht also nicht um die künstlerische Umsetzung einer religiösen Thematik oder bestimmter Koran-Suren. Vielmehr ist der Koran als Ganzes repräsentiert, und zwar aufgrund einer Zahlensymbolik. Diese liegt den Tafeln an den Wänden zugrunde. Wir sehen drei Bahnen mit jeweils 38 Bildern, und drei mal 38 macht zusammen 114. Aus ebenso vielen Suren, nämlich aus 114, besteht der Koran.
Eines der Bilder weicht vom Schema ab. Es hängt separat in einer eigenen Nische. Es hat zwar das gleiche Format wie die anderen. Es ist aber in vier kleine Tafeln unterteilt und mit einem Gitter überzogen. Dieses Bild steht für vier aus dem Koran getilgte Verse. Sie gelten als vom Teufel diktiert, die sogenannten “Satanischen Verse”. Sie symbolisieren die Kehrseite des Göttlichen, das Verbotene, das Tabuisierte, das Verteufelte, das natürlich ebenfalls zu allen Religionen gehört.
Die bei den Tafeln angewandte Technik besteht aus einer in mehreren Farbschichten aufgetragenen Grundierung, über die eine letzte Schicht aus Goldfarbe gelegt wird. Diese noch feuchte Auflage wird mit den Fingerkuppen durchbrochen und, wie zu sehen, sehr unterschiedlich gestaltet. Schliesslich wird alles mit Klarlack fixiert. Die Strukturen der Bilder sind von einer grossen Spannbreite: dicht, verschlungen, kräftig, fein, sparsam, zart, locker. Assoziationen bieten sich an: Pflanzen- und Rankwerk, Flechten, Feuer, Fischschwärme, arabische oder persische Schriftzeichen, Kalligraphie. Wie auch immer: Fast alle Bilder bewirken, dass unser Auge ständig hin und her gleitet zwischen Ruhe und Bewegung. Dieses Changieren wird unterstützt und verstärkt durch die sehr unterschiedliche Farbgebung: Zum einen ist die ganze Palette der Farben präsent. Zum anderen gibt es neben den monochromen Grundierungen auch mehrschichtige und mehrfarbige. Diese differenzieren auf der farblichen Ebene eine Mikrostruktur aus und bringen ein zusätzliches Element der Bewegung in die Bilder.
Bei so viel Energie und Lebendigkeit an den Wänden braucht es einen ruhenden Pol. Diesen setzt der Künstler in der Mitte des Raumes. Das heisst, der Raum wird zentriert durch einen schwarzen Kubus, in den ein Wasserbecken eingelassen ist. Wandgestaltung und Raumgestaltung, also Zweidimensionalität und Dreidimensionalität sind jedoch verschränkt: Die Wasseroberfläche wirkt wie ein Spiegel, der die Wandtafeln wiedergibt. Die Oberkanten des Kubus sind mit Goldfarbe akzentuiert und dadurch mit den Tafeln vernetzt.
Der Kubus bildet jedoch nicht nur einen ruhenden Pol, sondern die klare und geradlinige Form baut auch einen Gegenpol zu den lebendigen und verschlungenen Bildern auf. So bezieht diese Installation ihre Energie aus Polaritäten: Das Prinzip des Einzelnen steht dem Prinzip der Vielfalt gegenüber: ein schwarzer Kubus und 115 farbige Bilder. Das Prinzip der Strenge und der Reduzierung steht dem Prinzip des Wilden und des Überflusses gegenüber. Letztendlich sind hier zwei Grundpolaritäten verwirklicht: Klarheit und Harmonie im Kubus und Farbigkeit und Lebendigkeit in den Wandtafeln. Man kann diese Grundprinzipien traditionellerweise mit zwei griechischen Göttern verbinden: mit Apoll, dem Gott der lichten Vernunft, und mit Dionysos, dem Gott des orgiastischen Taumels. Wem das zu weit geht, der mag einfach die Gegensätzlichkeit in der Grundstruktur der Installation wahrnehmen.
In meiner Beschreibung habe ich ein paar Begriffe verwendet, die ich für wesentlich halte im Zusammenhang mit dem Titel der Ausstellung: Gold, Kubus, Wasser und Kalligraphie. Bleiben wir zunächst im Griechischen, denn “Kalligraphie” heisst auf deutsch nichts anderes als “Schöne Schrift”. Schrift hat also immer zwei Dimensionen: eine mentale Seite als Informationsmedium und eine sinnliche Seite als Ornament, oder eben als Kalligraphie. Ali Reza Javadi bezeichnet seine Wandtafeln als eine Art “abstrakter” Kalligraphie. Das heisst in diesem Fall: zum einen abstrahiert von der direkten Schriftfunktion, zum anderen abstrahiert von einer damit verbundenen religiösen Botschaft der islamischen Kalligraphie. Es ist ausgesprochen lohnend, sich eingehender mit der höchst differenzierten Kunst der islamischen Kalligraphie zu beschäftigen. An dieser Stelle ist dies leider nicht möglich. Jemand, der sich ausführlich diesem Studium gewidmet hat, ist Abdelkebir Khatibi. Von ihm stammt der schöne Satz: “Die islamische Kalligraphie ist eine Geometrie der Seele”. Dieses Zitat erlaubt mir, zu den Wandtafeln zurückzukommen. Ich habe sie vorhin beschrieben als dicht, verschlungen, kräftig, fein, sparsam, zart und locker, in einem ständigen Hin und Her zwischen Ruhe und Bewegung. Und ich meine, es ist ohne weiteres möglich, Seelenzustände so oder so ähnlich zu beschreiben.
Kommen wir zum zweiten Begriff, zum Wasser. Wasser steht in allen Kulturen der Welt - und damit auch in allen Religionen der Welt für “Leben” und für “Reinigung”. Reinigung wiederum kann man körperlich, geistig und seelisch auffassen und irgendwie hängt auch alles miteinander zusammen. Deshalb kennen die Religionen Riten und Rituale, die mit Wasser zu tun haben. Die christliche Initiation ist die Taufe, Katholiken bekreuzigen sich mit Weihwasser beim Betreten und Verlassen der Kirche, der fromme Hindu steigt in den Ganges, Juden und Moslems kennen rituelle Waschungen im Bad oder vor Betreten des Gotteshauses. Die bedeutendste Quelle der islamischen Welt, sie heisst Zamzam, ist in Mekka, nämlich direkt im zentralen Heiligtum, der Kaaba.
Damit bin ich bei meinem dritten Wort angelangt, dem Kubus. Der Kubus, zusammengesetzt aus sechs Quadraten, gilt ja neben der Kugel als idealer geometrischer Körper. Er wirkt ausgewogen, harmonisch und schön. Wenn wir hier im Raum umhergehen, umkreisen wir unmerklich den vom Künstler ins Zentrum gesetzte Kubus. Das mag den einen oder anderen an die Kaaba in Mekka erinnern, denn dort steht der schwarze Kubus ja für den Thron Allahs, den der muslimische Pilger siebenmal umkreist. Sie haben bemerkt, dass ich konsequent vom Kubus spreche und nicht vom Würfel. Das wäre auch von der Wortbedeutung her nicht korrekt, mal ganz abgesehen davon, dass der Kubus eine göttliche Symbolik haben kann, der Würfel jedoch nicht. Zumindest dann nicht, wenn man Albert Einstein folgt, dem ja das Zitat zugeschrieben wird: “Gott würfelt nicht”.
Die Kanten des von Ali Reza Javadi aufgestellten Kubus sind mit dem Gold der Wandtafeln akzentuiert und das führt mich zu meinem vierten und letzten Begriff, zum “Gold”. Es ist das einzige Element, das in dieser Installation raumumgreifend verwendet wird: Es dominiert vom Eindruck her die Wandtafeln. Es findet sich auf der dreidimensionalen Kubusform. Schliesslich, quasi immateriell, ist es präsent in den Spiegelungen der Wasseroberfläche. Die Symbolik des Goldes ist einfach und kompliziert zugleich: Als Metall unbrauchbar, weil zu weich, wurde es zum Inbegriff der Kostbarkeit, der Klarheit, des Glanzes und des Lichtes. Nicht von ungefähr heissen die mit Blattgold geschaffenen Bilder in Thora, Bibel und Koran auch Illuminationen. Das göttliche Licht, die heilige, Leben spendende Sonne ist ein Motiv, mit dem Gold durch die Zeiten und in den Religionen immer wieder verbunden wird. Das heisst, meine Damen und Herren, auch wenn es natürlich heute Goldfarbe gibt, in seiner Wirkung und Bedeutung kann Gold eines niemals sein: nur Materie, nur Farbe! Dennoch Ð und das ist das Komplizierte an der Sache: Auch das Gold ist ambivalent: Es steht ganz selbstverständlich für das Göttliche, Reine, Immaterielle - und genauso selbstverständlich für Materialismus, Weltlichkeit, Mammon und verführerisches Teufelswerk. Sie erinnern sich, vorhin sagte ich im Zusammenhang mit den Versen des Koran, dass es die getilgten, sogenannten “Satanischen Verse” gibt. Das Gegenteil des Göttlichen gehört also mit dazu. Für diese Dichotomie des Göttlichen kann meiner Meinung nach auch das Gold stehen. In sehr vielen Religionen wird Gold eingesetzt bei der Innenraumgestaltung von Gotteshäusern: Ob Sie nun eine wertvoll ausgestattete Moschee, eine griechisch- oder russisch-orthodoxe Kirche, eine römisch-katholische Kathedrale oder etwa einen Hindu-Tempel als Beispiel nehmen: Vergoldung des Innenraumes und Lichtspiel bewirken, dass ein “raumloser, überweltlicher Nicht-Ort” (M.Bruns) entsteht. Ali Reza Javadi deutet das in seiner Arbeit hier an, wenn man die Gesamtwirkung in den Blick nimmt: Denn die Ausstellung ist keine Präsentation von Einzelbildern und Objekten, sondern eine kohärente Raumgestaltung.
Nun, meine Damen und Herren, ich wollte Sie in meinen Überlegungen mitnehmen auf der Suche nach dem Titel der Ausstellung. Dabei habe ich “Die Sprache der Götter” dahingehend gedeutet, dass es bildliche Aussagen, Gestaltungselemente und Raumwirkungen gibt, welche die Kraft haben, zum Symbol des Göttlichen zu werden. Dabei kam ich das eine oder andere Mal auf den Gegenspieler Gottes zu sprechen. Das passt nun wiederum, und damit komme ich zum Schluss, zur Symbolik des heutigen Tages: Die Kernbotschaft von Ostern hat nämlich sehr viel mit dem Gesagten zu tun: Denn im Gold der Sonne des Ostermorgens, in der Auferstehung, sind die dunklen Mächte der Hölle, des Todes und des Teufels besiegt. Das wird auch mit der erwachenden Natur verbunden, mit dem aufkeimenden Frühling. Und deshalb geht man an Ostern gerne spazieren. Der berühmteste Osterspaziergang der deutschen Literatur stammt von Goethe. Er lässt seinen Faust durch die Fluren wandeln und legt ihm schöne Verse in den Mund. Was in unserem Zusammenhang interessiert, ist der Schluss des Osterspaziergangs. Sie wissen, Faust bekommt Gesellschaft, ein kleiner putziger Pudel schliesst sich an. Und Sie kennen auch des “Pudels Kern”: Zuhause nämlich verwandelt sich das Hündchen in den Leibhaftigen. In der Kirche singt man vom Sieg über Tod und Teufel - und durch die Hintertür schleicht sich Mephisto wieder ein. Sollte sich also bei ihrem Osterspaziergang, zum Beispiel hier Rombergpark, gleich ein herrenloser Hund anschliessen - nehmen Sie ihn auf keinen Fall mit nach Hause. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
© Dr. Hermann Ühlein, Isabellastr. 32, 45130 Essen



© 2003-2009 Solmund Rudlof | Impressum